WEBWRITING.CH | ARTIKEL
© Margrit Stucki, Zürich, Schweiz. Alle Inhalte, Daten und Bilder dieser Site unterstehen dem Copyright.
 

DIDAKTIK (März 04)

«Wir sind keine Kuschelpädagogen»

Der Sprachdidaktiker Andreas Vögeli, 58, forscht und lehrt seit 25 Jahren in der Erwachsenenbildung. An der EB Zürich unterrichtet er seit 1982, zurzeit in den Kursen «Wie lerne ich am besten?», «Schneller lesen – besser lesen» sowie «Schreiben und Lesen für Erwachsene».

Von Margrit Stucki

Inwiefern lernen Erwachsene anders als Kinder?

A.Vögeli: Erwachsene tragen einen Rucksack an Schulerfahrungen mit. Oft sind diese Erfahrungen negativ geprägt und behindern deshalb das Lernen. Weitere Hindernisse bilden die Null-Fehler-Toleranz und die Angst vor Blamage. Kinder lernen lockerer, unbefangener. Für sie steht das Handeln im Vordergrund, nicht der Output oder das Lernziel.

Erleichtern Spiele die Wissensaufnahme?

Ja, davon bin ich überzeugt. Spiele lassen uns in andere Welten eintauchen. Sie verhelfen zu Aha-Erlebnissen und Plausch. Spielregeln sind sozial verbindend, weil sie für alle die gleiche Situation schaffen. Dies wirkt entlastend, man bewegt sich in einem geschützten Rahmen. Zudem versüsst der Verpackungscharakter von Spielen jedes Training.

Sind spielerische Lehrmethoden für jedes Alter und jedes soziale Umfeld geeignet?

Wahrscheinlich nicht. Der Erfolg von Lernmethoden hängt jedoch nicht von Alter oder Status ab. Vielmehr vom Ziel, also von der Absicht der Lernenden. Natürlich hat alles seine Grenzen, auch der Einsatz von Spielen. So ist etwa bei emotionalen Themen wie Kom- munikation oder Konfliktlösung eher Einfühlungsvermögen als spielerische Action gefragt. Die Leute müssen ernst genommen werden.

Spiele erzeugen Gewinner und Verlierer. Lässt sich das mit den Prinzipien der moder- nen Erwachsenenbildung vereinbaren?

Nicht alle Spiele sind Wettbewerb orientiert. Es gibt unzählige Kooperations-Spiele, die keine Verlierer hervor bringen. Den Lehrkräften obliegt die Kunst, die passenden Spiele zu finden.
Konkurrenz und Vergleiche laufen immer, im Berufsalltag wie im Kurszimmer. Nur laufen sie im Spiel fiktiv, also im Guten. Das Spiel ebnet Bildungshintergründe ein und schafft gleiche Chancen. Die Putzfrau kommt mitunter besser weg als der Astrophysiker, weil sie geschickter agiert oder schneller kombiniert.

Muss Lernen immer Spass machen?

Nein, aber Unterricht sollte nicht noch mehr Ernst erzeugen. Bei uns wird allgemein zu wenig gespielt.
Der Lustgewinn, der Spass ist wie ein Gewürz, der den Lernstoff weniger fad macht. Viele brauchen dieses Gewürz gar nicht. Trotzdem wehre ich mich heftig gegen die Abwertung des Spiels im Sinne von „nur für die Kleinen“ und gegen die Bezeichnung «Kuschel- pädagogik».

Der Neurodidaktiker Henning Scheich kam unlängst zum Schluss, dass auch Miss- erfolg und gezielte Strafe für einen optimalen Lernerfolg nötig sind. Wie sehen Sie das?

Ich halte das für eine skandalöse Pädagogik. Wir sind doch keine Primaten! Als erstes würde ich „Misserfolg“ durch „Fehler“ ersetzen. Fehler sind der erste Schritt zum Lernen. Menschen können auch ohne Strafe lernen. Sie fallen oft genug auf die Nase, das brauchen sie nicht noch im Schulzimmer. Natürlich kann man in Spielen Strafrunden oder rote Karten einfangen. Aber aufgrund ritualisierter Regeln und ohne gravierende Folgen, ganz im Unterschied zur Realität.

Danke für das anregende Gespräch.