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BILDUNG (März 04)

Spielerisches Lernen wird erwachsen

Spielen eignet sich als Lernmethode für jedes Alter. Denn Kinder wie Erwachsene nutzen spielerische Lernstrategien mit Erfolg. Dies belegen Fallbeispiele aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten.

Von Margrit Stucki

Kinder sind fähig, im Spiel auf ungezwungene und kreative Art zu lernen. Erwachsene, so die Annahme, verlieren diese Fähigkeit und lernen stattdessen systematischer.

Lernforscher und Kursleitende hinterfragen diese These. Sie haben längst erkannt, dass auch Erwachsene gerne spielen und dabei lustvoll Neues lernen. Derweil kann sich Spielen als harte Arbeit entpuppen, während das Lernen so nebenbei geschieht und zudem Spass macht.

Keine Frage des Alters

Wenn Erwachsene spielerisch lernen, dann vielleicht in Zusammenhang mit Freizeit-aktivitäten. Oder in Notsituationen, weil alle andern Strategien versagen. Die Ver-mutung, dass es sich dabei um einen Rückfall in kindliche Verhaltensweisen handelt, entspricht einem Vorurteil. Denn: Spielerisches Lernen ist effizient, in jedem Alter.

Im PC-Einstiegskurs von Mélanie Tschofen üben Frauen «zwischen 25 und 75» die Grundlagen der Computer-Bedienung. Gemeinsam sind den Teilnehmerinnen schlechte Erfahrungen im Umgang mit dem Computer und eine gewisse Technologie-Aversion. Erklärtes Ziel ist es, «alte, negative Lernerfahrungen durch neue zu ersetzen». Um dies zu ermöglichen, arbeitet Tschofen mit Suggestopädie: Sie setzt gezielt Musik ein, erzählt Geschichten, lässt Kreuzworträtsel lösen und den Lernstoff auf Plakaten visualisieren. «Es geht darum, eigene Bilder und kreative Lösungen zu entwickeln. Die Lernenden sollen Blockaden umgehen, nicht gegen sie anrennen», erklärt Tschofen. Dass sie mit ihrer Methode richtig liegt, zeigt unter anderem die entspannte Atmosphäre im Kursraum.

Warnung: Lernen kann glücklich machen!

Spielen stellt meist eine ausgewogene Balance zwischen Anforderung und Können her. Gerade deshalb macht es Spass.

Der Sprachdidaktiker Andreas Vögeli (s. Interview) empfiehlt Erwachsenen, mehr zu spielen – als Schutz vor Enttäuschungen und Minderwertigkeits-Komplexen. «Spiele rücken die Aktion ins Zentrum, nicht abstrakte Lernziele. Die Handlungs-Orientierung ist der grosse Vorteil gegenüber andern Lernmethoden», schwärmt er.

Glücksgefühle kommen vorab dann auf, wenn man sein Tun einerseits als anspruchsvoll erlebt und sich andererseits den Anforderungen gewachsen fühlt. Handeln und Bewusst- sein verschmelzen; man ist vollkommen auf die Tätigkeit konzentriert. Der Zustand vollständiger Konzentration ist typisch für das spielerische Lernen. Deshalb kommt ihm in der Bildung eine grosse Bedeutung zu. Zu Unrecht wurde es lange Zeit als Vorstufe des Lernens betrachtet und aus den Schulzimmern der Oberstufe und der Weiterbildung verdrängt.

Türöffner zur lokalen Kultur

Im Gemeinschaftszentrum Buchegg sitzen zwölf Immigrantinnen um einen grossen Tisch versammelt. Vor ihnen liegen Bildkärtchen, Würfel und ein Hand gezeichneter Quartierplan. Die Frauen besuchen den Mundartkurs «Grüezi mitenand» für ausländische Mütter.

«Am achti tuen ich frühstücke», formuliert eine Lernende. In der Schweiz sage man «zmörgele», merkt die Kursleiterin an. Der Klang des neuen Begriffs löst Heiterkeit aus. Im Verlauf des Nachmittags üben sich die Frauen im «Vertonen» von Szenen wie Wegbe- schreibungen, Treppenhausgesprächen und Erkundigungen im Laden. So knifflig die Sache mit dem Züritüütsch sein mag: Manch ein Ausdruck erntet herzhaftes Lachen.

«Wir spielen Alltagsituationen in Dialog-Form nach», beschreibt Kursleiterin Liliane Moser ihren Unterricht. Dabei verwendet sie die gleichen Materialien und Methoden wie im Dialektkurs für Kinder, welchen sie ebenfalls erteilt. Die Koppelung an die Kindergärten sei eine Besonderheit, die den Frauen ermögliche, am Lernprozess ihres Nachwuchses teilzunehmen. Die Mütter verfolgen indes ganz andere Strate-gien als ihre Kleinen: «Sie lernen reflektierter, machen sich Notizen, ziehen Parallelen und benutzen Eselsbrücken.»

Die Dialekt-Lektionen ersetzen zwar keinen Deutschkurs, legen aber das Fundament zur Integration. Denn

  • unterschiedliche Bildungsniveaus fallen weniger ins Gewicht als bei schriftlichen Lernformen;
  • Alltagserfahrungen lassen sich – anders als im klassischen Schulbetrieb – direkt umsetzen;
  • das Imitieren realer Situationen macht automatisch mit den hiesigen Umgangs- formen vertraut.

So manche Teilnehmerin hat erst im Kurs erkannt, dass hierzulande innige Begrüssungsküsse, Feilschen oder Unpünktlichkeit weniger üblich sind als im eigenen Herkunftsland. Spielerisch erworbenes Wissen, das die Türen zur fremden Kultur öffnet.